Außerparlamentarische Opposition

Außerparlamentarische Opposition
APO

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außerparlamentarische Opposition,
 
Abkürzungen APO, Apo, von 1965/66 bis 1968/69 bestehende politische, locker organisierte Bewegung studentische, aber auch gewerkschaftliche Gruppen innerhalb der sich formierenden neuen Linken, suchte unter Führung des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS; Wortführer u. a. R. Dutschke, Bernd Rabehl) gesellschaftliche Veränderungen auf dem Wege neuartiger Demonstrationstechniken (u. a. »Sit-ins«, »Teach-ins«) beziehungsweise provokanter Auftritte durchzusetzen. Im Streit um Hochschulreform, Pressekonzentration (Höhepunkt: »Anti-Springer-Kampagne« nach dem Attentat auf R. Dutschke, 11. 4. 1968) und Notstandsgesetze (v. a. Demonstrationen im Mai 1968) verstand sich die APO in ihren Forderungen nach radikaler Demokratie als eine antiautoritäre Reformbewegung, gleichwohl besaß sie selbst autoritäre Züge (u. a. Kult um Ho Chi Minh, Mao Zedong und andere Leitfiguren der Dritten Welt). Vor dem Hintergrund der »großen Koalition« von CDU/CSU und SPD sahen sich die zumeist sozialistisch-marxistisch ausgerichteten Kräfte der - zahlenmäßig eher geringen - APO durch die parlamentarische Opposition nicht vertreten und suchten ihre Ziele auf nichtparlamentarischen Wege durch provokative, oft militante Methoden (»Gegengewalt«) zu erreichen.
 
Die APO entstand um 1965/66 an den Hochschulen in Berlin (West) und breitete sich von dort ab Juni 1967 (Tod des Studenten Benno Ohnesorg [* 1941]) auf weitere westdeutsche Hochschulen aus (Studentenbewegung). Intellektuelle Grundlagen bildeten u. a. die Theorien von T. W. Adorno, H. Marcuse und der »Frankfurter Schule«, publizistischer Fürsprecher war u. a. H. M. Enzensberger. Die scharfe, oft maßlos überzogene Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen verband sich mit der Ablehnung des militärischen Engagements der USA im Vietnamkrieg und artikulierte sich in zahlreiche Aktionen und Demonstrationen gegen amerikanische Einrichtungen. Ab Mai 1968 - trotz des Höhepunkts der Unruhen in Frankreich - zerfiel die APO in eine Vielzahl verschiedener Gruppen (u. a. linke und [maoistische] »K-Gruppen«, DKP-Anhänger); nur wenige gingen zum Terrorismus (RAF) über. Die meisten APO-Aktivisten suchten über das bestehende Parteiensystem, häufig durch die Rückkehr zur SPD, die Gesellschaft zu verändern (»Langer Marsch durch die Institutionen«).
 
Die in der APO und der Studentenbewegung entwickelten Vorstellungen und Formen des Protestes wurden zum Teil von der späteren Anti-Atomkraft- und Umweltbewegung aufgegriffen; einige »Achtundsechziger«, Vertreter der »Generation von 1968« in Deutschland und Frankreich (Mai 1968), waren an der Entwicklung der Partei Die Grünen beteiligt (u. a. J. Fischer, Daniel Cohn-Bendit [* 1945]), andere wurden zu »Antimarxisten« (A. Glucksmann) oder bedeutungslos (z. B. Fritz Teufel [* 1945]).
 
Unterschiedlich bewertet werden Zielsetzung und Charakter sowie Voraussetzungen und Folgewirkungen der APO, ihre »Verstärkerfunktion« (C. Kleßmann) für eine längerfristige Modernisierung beziehungsweise Demokratisierung von Staat und Gesellschaft.
 
 
J. Agnoli u. P. Brückner: Die Transformation der Demokratie (61978);
 
Die Wiedertäufer der Wohlstandsgesellschaft, hg. v. E. K. Scheuch (1968);
 J. Habermas: Protestbewegung u. Hochschulreform (31970);
 
Studentenbewegung 1967-69, hg. v. F. Wolff u. E. Windaus (1977);
 G. Langguth: Protestbewegung. Entwicklung - Niedergang - Renaissance (21984);
 K. A. Otto: APO. A. O. in Dokumenten u. Quellen (1989);
 C. Kleßmann: APO, in: Revolution in Dtl.? 1789-1989, hg. v. M. Hettling (1991);
 
Dienstjubiläum einer Revolte. »1968« u. 25 Jahre, hg. v. F. Schneider (21993);
 O. Negt: Achtundsechzig. Polit. Intellektuelle u. die Macht (1995).

Universal-Lexikon. 2012.

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